MFG - Blut in meinen Ohren
Blut in meinen Ohren


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Blut in meinen Ohren

Text Thomas Winkelmüller
Ausgabe 05/2019
Ich habe meinen Geschichtslehrer nie ausstehen können. Das hat einerseits an seiner zynischen Art gelegen und andererseits daran, dass er mir das Fach „unmaturierbar“ gemacht hat. Stoff? Alle paar Stunden mal im Schnelldurchlauf. Tests? Wenn wir wollen. Überraschung: Die Mehrheit hat gerne darauf verzichtet und ich möchte mich da gar nicht ausschließen. Wenn ein pubertierender Mensch die Entscheidung zwischen mehr Freizeit oder weniger hat, liegt die Antwort auf der Hand. Dafür haben wir in den Stunden über Gott und die Welt gesprochen. Meis­tens relativ schulferne Inhalte. Tomatenanbau, Apfelbäume und – Überraschung – Politik. Letztere hat mich schon damals interessiert. Die gegenseitige Abneigung zwischen meinem Lehrer und mir hat aber jegliche Bereicherung meinerseits erfolgreich verhindert. Rückblickend schätze ich seine lehrstoffeinschränkende Entscheidung allerdings durchaus.
Er hat gesehen was in meiner und vielen anderen St. Pöltner Schulen fehlt: Gesellschaftspolitische Bildung als verpflichtendes Fach. In manchen Schulen steht dieses Thema schon im Stundenplan der Jugendlichen, in ein paar zur freiwilligen Auswahl und in der Josefstraße gar nicht. Und dann höre ich immer wieder Lehrer darüber jammern, wie uninteressiert und wahlfaul junge Menschen nicht seien. Dabei rinnt mir das Blut aus den Ohren. Erstens stimmt das so überhaupt nicht und zweitens: Hawara, bringts es ihnen halt einmal näher, ihr Schwammerl.
Heute verstehe ich, welche Lücke mein Geschichtslehrer füllen wollte. Maturieren konnte ich trotzdem nicht.